Neues Buch der KHG Gießen: Integration bleibt eine zentrale Aufgabe
Migration ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Wenngleich die Welle der Flüchtlinge inzwischen abgeebbt ist, bleibt die Integration von Migranten aus anderen Kulturkreisen eine zentrale Langzeitaufgabe. Wie kann die Eingliederung von Geflüchteten und MigrantInnen in unsere Gesellschaft gelingen? Wie sind die Einstellungen in unserer Bevölkerung zur Flüchtlingsfrage? Was sind die Ursachen von Ängsten und Unsicherheiten? Wie sehen wirksame Instrumente staatlicher Integrationspolitik aus? Welches sind die Erfahrungen, Probleme und Empfehlungen im Umgang mit Flüchtlingen vor Ort aus der Sicht von MitarbeiterInnen betroffener sozialer Einrichtungen und aus den Erfahrungen der Flüchtlings- und Hochschulseelsorge in Deutschland sowie aus Sicht von Politik, Wissenschaft und Hochschulen?
Diese drängenden Fragen stehen im Mittelpunkt des 356 Seiten starken und inhaltlich hochaktuellen Buches, das von der Katholischen Hochschulgemeinde Gießen (KHG) jetzt zu Beginn des neuen Jahres im Gießener Psychosozial-Verlag erschienen ist. Die Herausgeber Hochschulpfarrer Dr. Siegfried Karl und Hans-Georg Burger wollen angesichts der öffentlichen Diskussion und der Stimmung in der Bevölkerung mit dem Buch einige grundsätzliche Feststellungen zur Flüchtlingsfrage sowie für den Umgang mit Geflüchteten und für das Gelingen von Integration geben. Zugleich verstehen sie das Buch auch als Appell, über Integration neu zu denken im Sinne einer Ethik und der Achtung des anderen Menschen. Vor allem liegt den beiden Herausgebern auch daran, dass der Band mit seinen Aussagen und Botschaften in den innerkirchlichen Bereich hinein den Dialog fördern und Ängste und Befürchtungen überwinden hilft. Im Integrationsprozess spielen die Kirchen eine wichtige Rolle.
Das Buch enthält die überarbeiteten Vorträge und inhaltlichen Schwerpunkte der Diskussionen vom Kolloquium der KHG Gießen vom November 2016. Der Band wurde um aktuelle Beiträge und Interviews mit namhaften Autoren erweitert, die das komplexe Thema um ausgewählte Brennpunkte vertiefen. Zu den Autoren gehören unter anderem der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen Dr. Bernhard Vogel, der zu den bekanntesten deutschen Historikern zählende Prof. Heinrich August Winkler von der Humboldt-Universität Berlin, der für die Integration im Hessischen Sozialministerium zuständige Staatssekretär Jo Dreiseitel, der Gießener Politologe Prof. Claus Leggewie, die beiden Gießener Hochschulpräsidenten Prof. Joybrato Mukherjee (Justus-Liebig-Universität) und Prof. Matthias Willems (Technische Hochschule Mittelhessen) und der langjährige Mitarbeiter am Zentrum für Psychosomatische Medizin in Gießen und spätere Leiter für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Leipzig Prof. Elmar Brähler. Grußworte geschrieben haben die Gießener Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz sowie der ehemalige Diözesanadministrator des Bistums Mainz Dietmar Giebelmann.
Zur Asyl-, Flüchtlings- und Integrationspolitik
Integration von Migranten geschieht niemals völlig spannungs- und konfliktfrei, sie ist immer von kulturellen und politischen Spannungen geprägt. Dies wird von mehreren Autoren betont, so von Dr. Bernhard Vogel, Staatssekretär Joreiseitel und Prof. Claus Leggewie. Gelungene Integration findet immer vor Ort statt. Entscheidend für ein Gelingen ist das Ehrenamt mit seinen zahlreichen Helfern, wie der Marburger Sozialpsychologe Prof. Ulrich Wagner beschreibt. Integration braucht konkrete Orte, an denen echter Dialog und zwischenmenschliche Begegnungen stattfinden. Dialog, Begegnung und Gastfreundschaft haben eine Schlüsselfunktion bei der Integration.
Mit seinen Bemerkungen zu den aktuellen Debatten um die Asyl- und Flüchtlingspolitik beschreibt Prof. Heinrich August Winkler eingangs Entstehung, Hintergründe und Entwicklung des Asylrechts in Deutschland seit 1949. Zugleich nimmt er kritisch zur deutschen Flüchtlingspolitik der letzten Jahre und seine Rückwirkungen auf Europa Stellung.
Einwanderung ist für die Deutschen eigentlich nichts Neues, die Geschichte Deutschlands ist von Phasen großer Zuwanderungen durchzogen, wie Dr. Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie in Allensbach mit Blick auf die historischen Erfahrungen festhält. Petersen weist darauf hin, dass die Integrationsprobleme mancher Einwanderergruppen das Resultat tiefgreifender kultureller Prägungen sind. Diese historische Prägung macht sich auch in der Einstellung der Deutschen gegenüber dem Islam durchaus bemerkbar, so dass ein Gefühl der Fremdheit und des Misstrauens nach wie vor überwiegt, so Dr. Petersen.
Der Islam wird meistens als ein Stolperstein für die Integration wahrgenommen, wie Prof. Yasar Sarikaya unter Hinweis auf Studien zum Thema Muslime und Integration hervorhebt. Wie der Professor für Islamische Theologie und ihre Didaktik an der Justus-Liebig-Universität in einem lesenswerten Beitrag zusammen mit seiner Mitarbeiterin Ulrika Kilian betont, fördert oder behindert nicht die Religion die Integration, sondern der soziale Hintergrund. Daher ist der Islamische Religionsunterricht für Prof. Sarikaya von besonderer Bedeutung für die gesellschaftliche Integration und stellt einen wichtigen Schritt für die Entstehung eines inklusiven deutschen „Wir“-Gefühls von Muslimen dar.
Bildung ein entscheidender Schlüssel
Bildung ist für die Integration von Flüchtlingen ein entscheidender Schlüssel. Ohne Bildung kann Integration nicht funktionieren, denn mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind jünger als 25 Jahre. Eines der wesentlichen Programme zur Integration ist deshalb die Ausbildung der Menschen, die berufliche und akademische Qualifikation der Flüchtlinge ist eine zentrale Zukunftsaufgabe. Die Hochschulen in Deutschland engagieren sich insgesamt intensiv für die Integration von Geflüchteten. In vielfältiger Weise engagieren sich die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) für Flüchtlinge. Deren Präsidenten Prof. Joybrato Mukherjee und Prof. Matthias Willems stellen die Entwicklung, die organisatorische Umsetzung und das aktuelle Angebot für studieninteressierte Geflüchtete und geflüchtete Wissenschaftler/innen an ihren Hochschulen vor.
Religion hat für diese Menschen einen besonderen Wert
Gerade die Berichte mit den Erfahrungen aus der Praxis zeigen hautnah, was die Menschen bewegt und bedrückt und wo die Probleme liegen. Dies ist bereits im Interview mit Cornelia Tigges und ihren Erfahrungen aus der Arbeit als Migrationsberaterin im Migrationsdienst der Caritas in Gießen zu spüren. Dass gerade in den schwierigen Situationen der Migration für viele dieser Menschen Religion einen Wert hat, das erlebt Cornelia Tigges immer wieder. Aus ihren Schilderungen und an ihrem Verhalten sieht sie, wie sehr Religion für diese Menschen einen Wert hat, der sie wieder Kraft und Hoffnung schöpfen lässt.
Eindrucksvoll sind auch der Bericht des Jesuiten-Paters Frido Pflüger und das Interview mit Pfarrer Hermann Wilhelmy über dessen Erfahrungen in der Flüchtlingsseelsorge in Hessen für die evangelische Kirche. Die Themen Flucht und Flüchtlinge gehören für beide seit 14 Jahren zu ihrem Leben: Pater Pflüger war zuerst Leiter des Flüchtlingsdienstes der Jesuiten in Ostafrika und seit 2012 für Deutschland in Berlin. Pfarrer Wilhelmy gehört seit nunmehr 14 Jahren als Flüchtlingsseelsorger für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau zu den prägenden Persönlichkeiten beim Thema Flucht und Integration. Aus seinen Erfahrungen in Afrika und dem Vorderen Orient treibt ein Gedanke Pater Pflüger besonders um, dass wir im Westen bis heute unser gutes Leben in großer Selbstverständlichkeit leben und dabei ausblenden, wie sehr wir in Europa in der Vergangenheit durch Kolonialismus und Versklavung und in der Gegenwart durch unsere Waffenexporte und ungerechte Handelsbeziehungen dazu beigetragen haben, dass die Welt so ungleich ist, wie sie jetzt ist. Dabei würden wir nicht merken, dass viele Menschen auf der Welt das nicht mehr akzeptierten.
Beim Umgang mit Flüchtlingen in den letzten drei Jahren registriert Pfarrer Wilhelmy, dass bei den Flüchtlingen zu hohe Erwartungen vorhanden waren. Sie müssten nun die mitgebrachten Wünsche an die Realität anpassen. Nach seinen Erfahrungen stellt dieses Angleichen an die Realität, wie bei uns tatsächlich die Wirklichkeit aussieht, einen großen Einschnitt bei den zu uns gekommenen Menschen dar.
Was Integration an der Katholische Hochschulgemeinde bedeutet, darüber berichtet die Hochschulseelsorgerin Sigrid Monnheimer von der KHG Gießen anhand ihrer Erfahrungen im Umgang mit Migranten und Migrantinnen an den Gießener Hochschulen. Ihr Beitrag macht deutlich, dass das Studium eine wichtige Integrationskomponente darstellt, dass es aber für Zugewanderte auch große Hürden zu überwinden gilt. Der Zuzug von studieninteressierten Geflüchteten und anderen internationalen Studierenden wird uns nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch kirchlicherseits noch lange vor Herausforderungen stellen, so die Hochschulseelsorgerin.
Wie steht es um die innerdeutsche Integration?
Angesichts der aktuellen Debatten um Flüchtlinge und Integration legen die Herausgeber Pfarrer Dr. Siegfried Karl und Hans-Georg Burger Wert darauf, knapp 30 Jahre nach der Wende auch den Zustand der innerdeutschen Integration und seine Entwicklungen in die Thematik einzubeziehen. Wie steht es um die innerdeutsche Integration? Dazu veröffentlichen sie im vorliegenden Band den gemeinsamen Beitrag von Prof. Elmar Brähler und dem 2011 verstorbenen renommierten Gießener Psychiater und Psychoanalytiker Prof. Horst-Eberhard Richter mit den Ergebnissen ihrer Ost-West-Untersuchung aus dem Jahre 1999. Brähler und Richter haben darin aufgezeigt, wie die direkt nach der Wende vorhandenen optimistischen Vorstellungen der Ostdeutschen bereits 1999 verflogen waren und sich die Ostidentität entwickelte. In seiner Einordnung dieser Ergebnisse sagt Prof. Brähler angesichts der aktuellen deutsch-deutschen Entwicklungen sehr deutlich, dass die Ost-/West-Thematik auch fast 30 Jahre nach den Ereignissen vom Herbst 1989 nicht ad acta gelegt werden kann..
Im neuen Buch der KHG Gießen sind abschließend zwei ausführliche Beiträge enthalten, nämlich von Pfarrer Dr. Siegfried Karl mit seinen grundlegenden Überlegungen zu einer Ethik der Integration sowie von Fabian Stein über 90 Jahre Kirche an den Hochschulen in Gießen und über die KHG Gießen. Über beide Beiträge informieren ausführlicher entsprechende Meldungen auf der KHG-Homepage.
Das 356 Seiten starke und inhaltlich hochaktuelle Buch ist zum Preis von 34,90 € im Buchhandel oder online beim Psychosozial-Verlag zu erhalten (www.psychosozial-verlag.de).
Bibliographische Angaben zum Buch: Siegfried Karl, Hans-Georg Burger (Hrsg.): Herausforderung Integration – Wie das Zusammenleben mit Geflüchteten und MigrantInnen gelingt. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2018, 356 Seiten, (Buchreihe: Dialog leben), 34,90 EURO.
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